„Haben Sie schon einmal etwas von Phantomschmerzen gehört?", fragt der Gutachter einen Automobilisten. „Spricht man nicht von Phantomschmerzen, wenn ein Körperglied nach deren Amputation trotzdem noch schmerzt, obwohl es ja gar nicht mehr vorhanden ist?" – „Genau", meint der Gutachter, „und sehen Sie: Der Reparaturbetrieb will an Ihrem neuen Mercedes nun die Seitenwand ersetzen. Heraustrennen, tief in die Fahrzeugstruktur eingreifen. Das wird nie mehr, wie es war. Deshalb ist es viel besser, wenn man dieses Teil noch ausbeult! Sonst hat Ihr Auto Phantomschmerzen".
Diese Geschichte habe ich vom Hörenerzählen. Doch erzählt hat sie der Gutachter gleich selbst und ich habe sie gehört anlässlich des Schadenforums in Potsdam.
Einen grösseren Stuss habe ich mein Leben lang noch nicht gehört. Doch wenn man nur hört, fehlt ein wichtiger Teil: Er illustrierte seine Ausführungen noch mit Bildern! Er zeigte Föteli von Seitenwänden, die in der Tat einwandfrei ausgebeult werden konnten. Aber es hatte auch welche, bei denen ohne Frage der darunterliegende Radkasten massiv beschädigt war. Bei dem zudem der Bereich des Radlaufes mit der Seitenwand konstruktiv kraftschlüssig verklebt ist. Wer hier mit dem Wunderwerkzeug namens Miracle (siehe April-Blog „Miraculix") die Aussenhaut wieder in Form bringt, verschlimmbessert den Schaden massiv. Aussen fix und innen nix, das wäre dann das Motto einer solchen Reparatur, welche im Grunde gar keine Reparatur, sondern eher Kosmetik ist. Und erst noch Kosmetik von der übleren Sorte.
Der Gutachter war nicht irgendwer. Er führt in Deutschland ein Sachverständigungsbüro mit 12 Standorten. Und seine Aussagen wurden vom Publikum nicht mit Pfiffen und Buh-Rufen quittiert. Es waren überdurchschnittlich viele Versicherungsleute, Gutachter, Schadenlenker usw. am Anlass. Die fanden das alle toll! Dass er dann noch 5 Mal (!) erwähnte, wie toll die Schadensteuerung sei und dass Unternehmen, welche die Wünsche der Assekuranz nicht telquel übernehmen, gar keine Zukunft mehr haben, passt zum Bild. Anbiederung der übleren Sorte.
Ich war einfach wieder einmal glücklich, in der Schweiz leben und arbeiten zu dürfen. Auch hier müssen wir ab und zu etwas länger diskutieren, wenn ein Teil ersetzt werden muss. Aber bis jetzt ist es uns immer gelungen, die fachlich korrekte Arbeit auch verkaufen zu können. Müsste ich mich gegen eine solch hochnotpeinliche Argumentation zur Wehr setzen, würde sich die Freude an meinen Job extrem reduzieren.
Übrigens: Ansonsten war das zweitätige Schadenforum in Potsdam hochspannend mit teilweise sehr kompetenten Referenten.
> http://www.autohaus.de/nachrichten/schadenbusiness-1377965.html