Es war wieder einmal eine unangenehme Diskussion. Der Mitarbeiter des Büros, welches von der Versicherung beauftragt wurde, das Auto zu besichtigen, war der Meinung, eine halbe Stunde reiche für diese Delle.
Wir waren anderer Meinung und bestanden auf die Stunde. Hätte es sich bei der Delle um einen „Nebenschaden" gehandelt, hätte die halbe Stunde in der Tat gereicht. Als Hauptauftrag war aber eine Stunde zweifelsfrei eher knapp.
Interessanter aber war ein Teil innerhalb dieses Gespräches. Und dieser Teil war nicht so läppisch wie die Anfangsdiskussion. Es ging um Grundsätzliches.
Ich erklärte meinem Gesprächspartner etwas salopp, dass er kontrollieren müsse, dass die Arbeit, die wir ausführen, schadenkausal ist und dass wir nicht „bescheissen", also nicht Positionen verrechnen, die nicht ausgeführt werden. Punkt.
Mein Gesprächspartner war anderer Ansicht. Er wolle auch beim Reparaturweg mitreden können, teilte er mir mit. Es sei seine Aufgabe, diesen zu bestimmen und die Kosten dafür zu kalkulieren.
Mit Verlaub: Das fand ich dann schon recht anmassend. Dabei will ich die Aufgabe der Fahrzeugbesichtigung keinesfalls geringschätzen. Kontrolle, egal ob vor Ort oder virtuell, ist wichtig. Aber den Reparaturweg definieren kann nur der, der das Auto auch reparieren kann.
Ersatz oder Instandsetzung? Schweissen oder Nieten/Kleben? Karosserievermessung Ja oder Nein? Achsvermessung notwendig oder nicht? Ohne Zugang zu den Reparaturanleitungen des Automobilherstellers kann kaum noch eine Instandsetzung ausgeführt werden. Für unsere Fachleute wird es immer komplexer. Fachleute notabene, welche eine spezifische Berufslehre, teilweise eine Weiterbildung und Jahr für Jahr jede Menge Schulungen absolvieren. Und Fachleute, welche tagtäglich ausschliesslich nur diesen einen Job machen.
Die neuen Karosserien in Multi-Material-Mix sind noch komplexer. Je nach Bauteil muss ein Ersatz schon ab einer Toleranz von +/- 3mm erfolgen. Wer soll da den richtigen Weg bestimmen, wenn nicht wir?
Sogar das Allianz Zentrum für Technik AZT, eine 100%-ige Tochter der Allianz hält in einem Merkblatt fest:
«Daraus folgt, dass es im Vorfeld durch einen Sachverständigen, der nicht gelernter Lackierer ist, nicht möglich ist, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen».
Bei der Festlegung des Reparaturweges bezüglich Karosserie können falsche Entscheidungen gravierende, ja sogar lebensbedrohliche Konsequenzen haben. Ohne Frage wären diese Konsequenzen vom ausführenden Unternehmen respektive den entsprechenden Mitarbeitern zu verantworten. Beispiele von falsch reparierten Fahrzeugen sind bekannt. Die Insassen riskieren bei einem neuen Crash ihr Leben.
Es liegt in der Logik der Sache, dass nur das verantwortliche Unternehmen den korrekten Reparaturweg festlegen, ausführen und kontrollieren kann.